• Effizienter Schutz für Rotoren: Die Zukunft der Windenergie mitgestalten

    Lacke, Farben und Druckfarben machen unsere Welt seit Jahrtausenden schöner. Mehr noch: Sie schützen, was uns lieb und teuer ist und machen unsere Umgebung bunter. Doch moderne Beschichtungen können noch viel mehr: Sie schonen Ressourcen, beschleunigen Prozesse, helfen der Umwelt oder retten sogar Leben. In unserer Serie „Smarte Farben“ stellen wir solche unverzichtbaren Lacke, Farben und Druckfarben vor.

    Beschichtungen sind für nachhaltige Energieversorgung unverzichtbar, weil sie für eine lange Lebensdauer der Anlagen sorgen und mit innovativen Reparaturlösungen einen langfristigen Betrieb von Windkraftanlagen sicherstellen. Als der Verband der Lackindustrie vor 125 Jahren gegründet wurde, war die Luft von Rauch und Ruß durchzogen. Energie wurde zu dieser Zeit hauptsächlich durch Kohle erzeugt. Heute sind wir mit Hilfe von Windkraft und Sonnenenergie auf einem guten Weg zu einer emissionsfreien Energieerzeugung. Mittlerweile wird der Bau von Windenergieanlagen und Solarparks weltweit vorangetrieben, um den CO2-Ausstoß zu senken und so dem Klimawandel zu begegnen. Deutschland steht, allen Unkenrufen zum Trotz, dabei sehr gut da. Mit einem Anteil von rund 60 Prozent stammte der 2024 inländisch erzeugte und eingespeiste Strom mehrheitlich aus erneuerbaren Energiequellen, bis 2030 sollen es 80 Prozent sein. Insbesondere beim Ausbau der Windkraft sind wir in Europa führend und weltweit die Nummer Drei hinter den USA und China. Ende des Jahres 2024 lieferten laut Bundesverband der Windenergie (BWE) hierzulande insgesamt etwa 30.250 Windkraftanlagen Energie, 1600 davon sind Offshore installiert, also in der Nord- und Ostsee. Allein im vergangenen Jahr sind mit 2400 Windrädern an Land so viele Anlagen neu genehmigt worden wie nie zuvor. Im Offshore-Bereich hinkt die Entwicklung den Ausbauzielen noch hinterher. Jedoch soll sich auch dort die Zahl der Windräder bis 2030 verdreifachen. Die Bestrebungen, Strom aus erneuerbaren Energien bereitzustellen, wachsen enorm. Unverzichtbar sind in diesem Kontext die auf die jeweiligen Anforderungen exakt abgestimmten Beschichtungs- und Applikationssysteme, die für den langfristigen und reibungslosen Betrieb und Schutz der Anlagen sorgen: von Fuß bis Flügel, vom Fundament über den Mast bis hin zu den Rotorblättern.

    Forschung für effizientere Reparaturen - Fokus Blattkantenschutz

    Mit dieser Entwicklung wachsen auch die Herausforderungen an die Hersteller von Beschichtungssystemen. Der wirtschaftliche Betrieb von Windenergieanlagen ist zum großen Teil von ihrer Expertise und der Entwicklung innovativer Produkte abhängig. Denn verschiedene Naturkräfte nagen in Form von Regen, Hagel, Schnee, UV-Strahlung, Salz oder Staub an den Modulen einer Anlage und beeinträchtigen über kurz oder lang ihre Leistungsfähigkeit. Hinzu kommen starke Schwankungen von Temperatur und Luftfeuchtigkeit, die die Erosion noch beschleunigen können. Dies gilt gerade für die Rotorblätter: die sensibelsten und mit 25 bis 30 Prozent der Baukosten zugleich teuersten Komponenten der Energieerzeugung. Sie sind für die Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und damit Kosteneffizienz einer Windenergieanlage entscheidend. Investitionen in Wartung und Instandhaltung sind demzufolge für die Betreiber essenziell. Denn ein beschädigtes Rotorblatt kann zum Totalausfall einer Anlage führen. Damit es nicht dazu kommt, arbeiten aktuell unter anderem Wissenschaftler vom „Fraunhofer-Institut für Fertigungstechnik und Angewandte Materialforschung“ (IFAM) in Bremen gemeinsam mit Herstellern von Beschichtungslösungen an Reparaturkonzepten. Im Rahmen des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) geförderten Projekts entwickeln sie zuverlässige, langzeitbeständige und einfach anzubringende Produkte zum besseren Schutz der Blattvorderkanten für Offshore-Anlagen.

    „Rotorblätter sind enormen Belastungen durch Erosion ausgesetzt“, erklärt Sascha Buchbach, Gruppenleiter Lackprüfungen und Anwendungstechnik am Fraunhofer IFAM, der das Projekt mit dem Namen MARiLEP leitet. „Wir wissen, dass insbesondere an den Vorderkanten und an den Spitzen der Rotorblätter die Schäden durch Erosion zum Teil erheblich sind und schon nach wenigen Jahren Betriebszeit auftreten können.“ Mit dem Trend zu höheren Türmen, mit bis zu 100 Meter langen Rotorblättern, verschärfen sich die Auswirkungen von Erosion zusätzlich. Bei Geschwindigkeiten an den Blattspitzen von über 380 Stundenkilometern wirken Regentropfen wie ein Kugelhagel. Sie prallen mit großer Wucht auf die Oberfläche und rauen diese auf. UV-Strahlung und Salze in der Seeluft führen zusätzlich zu Materialermüdung. Diese Vorgänge beschädigen die Blätter und beeinträchtigen ihre Aerodynamik. Schon minimale Materialabträge können die Leistung der Anlage reduzieren, weil der Widerstand durch die rauere Oberfläche zunimmt. Wie genau die Erosion den Beschichtungen der Blattkanten zusetzt, erforscht Sascha Buchbach zusammen mit seinen Kollegen am Fraunhofer-Institut für Windenergiesysteme IWES in Bremerhaven. „An dem Institut werden an einem speziellen Prüfstand die Belastungen durch Regenerosion simuliert, um die Auswirkungen auf verschiedene Schutzund Reparatursysteme besser zu verstehen“, erklärt Buchbach. „Denn trotz der vielen bestehenden Windkraftanlagen ist die Datenlage bezüglich der unterschiedlichen Schadensbilder relativ dünn,“ ergänzt Heiko Blattert, Entwicklungsleiter PG Composites bei der Freilacke GmbH in Bräunlingen, die an MARiLEP beteiligt ist, „und wir wissen noch zu wenig über die Einflüsse von UV-Strahlung und Salz auf den Alterungsprozess der Rotorblätter.“

    Vielfältige Reparatursysteme für unterschiedliche Schadensbilder

    Um die Vorderkanten und Spitzen der Rotorblätter werkseitig zu schützen, werden unterschiedliche Materialien verwendet: Es kommen sowohl Lacke als auch Folien zum Einsatz. Beschichtungen, beispielsweise auf Basis von Elastomeren, sind elastisch und lassen die Regentropfen zurückprallen. Andere sind hart, damit sie die Tropfen brechen. „Im Rahmen von MARiLEP, das noch bis 2026 läuft, arbeiten wir an der Entwicklung eines Lacks, einem Foliensystem sowie einer Metallschutzkappe, die bis zur Marktreife entwickelt werden sollen,“ informiert Buchbach. „Ebenso sollen so genannte selbstheilende Lacke zum Einsatz kommen. Sie enthalten mikroverkapselte Wirkstoffe, die in eine Beschichtung eingearbeitet werden und im Fall einer Beschädigung aufreißen. Dann setzen sie eine Flüssigkeit frei, die im Riss aushärtet.“ Alle Lackhersteller, die an Beschichtungssystemen für die Reparatur von Windkraftanlagen arbeiten, haben das Ziel, mit Hilfe von möglichst einfach zu applizierenden Produkten, die Leistungsfähigkeit der Rotorblätter zu erhalten. Zudem gilt es, die Produkte so zu optimieren, dass sie unter vielfältigen Witterungsbedingungen innerhalb eines größeren Temperaturspektrums einsetzbar sind und möglichst schnell trocknen. Denn eine Herausforderung für alle Reparaturarbeiten besteht darin, dass die äußeren Bedingungen stimmen müssen: Ist die Luft zu kalt, der Wind zu stark oder die Luftfeuchtigkeit zu hoch, sind Reparaturen derzeit nicht mit allen gängigen Anwendungen möglich. „Bei allen Bemühungen der Hersteller, eine optimale Lösung zu finden, wird es am Ende das eine Produkt für den universellen Einsatz wohl nicht geben“, weiß Heiko Blattert. „Zu unterschiedlich sind die Bedingungen, denen die einzelnen Windkraftanlagen ausgesetzt sind und demzufolge auch die Schadensbilder. Deshalb ist es nach wie vor sinnvoll, wenn die Betreiber von Windparks auf eine möglichst breite Produktpalette mit verschiedenen Spezifikationen zurückgreifen können, die jeweils gute Lösungen für ganz verschiedene Anforderungsprofile aufweisen.“

    All-In-One - Reparaturzeiten verkürzen

    Das Unternehmen Teknos beispielsweise nimmt für sich in Anspruch, mit einem neu entwickelten und einfach anzuwendenden Produkt die Reparaturzeit deutlich zu verkürzen. „Wir haben eine auf Elastomeren basierende Beschichtung entwickelt, speziell für die Reparatur von Rotorblättern, mit der signifikante Kosteneinsparungen erzielt werden können“, erklärt Allan Bonde Jensen, Business Development Manager Energy bei Teknos. „In der Regel besteht die Mehrzahl der Reparaturlacksysteme aus drei oder zwei Schichten, die mehrere Arbeitsgänge erfordern. Diese Systeme haben bei bestimmten Schadensbildern sicher auch Vorteile. Wir haben jedoch eine Lösung gefunden, die mit nur einem Anstrich auskommt und damit die Reparaturzeit deutlich verkürzen kann,“ führt Jensen aus. Eine Lösung, die den Betreibern von Windkraftanlagen gefallen dürfte. Schließlich ist die Reparatur eines Rotorblatts teuer: An Land kostet der Stillstand zwischen 800 und 1600 Euro am Tag, Offshore können sich die Kosten bis auf 20.000 Euro belaufen. „Üblicherweise beträgt die Reparaturzeit mit gängigen Lösungen einer Anlage rund drei bis sechs Tage, also ein bis zwei Tage pro Rotorblatt“, weiß Jensen. „Wir gehen davon aus, dass sich die Reparaturgeschwindigkeit mit unserem Produkt auf bis zu sechs Blätter pro Tag beschleunigen lässt.“ Denn das Produkt benötigt nur wenige Minuten, bis es ausgehärtet ist. Ein weiterer Vorteil sei das flexible Applikationszeitfenster: „Der Lack kann bei Temperaturen zwischen -8 Grad bis +50 Grad Celsius verarbeitet werden,“ sagt Jensen. Das ermöglichte eine bessere Auslastung der Reparaturspezialisten und Arbeitsschichten mit bis zu 25 Prozent mehr Arbeitstagen pro Jahr.

    Neue Perspektiven mit Drohnen und Robotern

    Der Einsatz erfahrener Industriekletterer, die in luftiger Höhe von rund 200 Metern Inspektionen vornehmen und Reparaturen durchführen, ist ein gravierender Kostenfaktor für die Betreiber. Der ist bereits bei Anlagen an Land eine Herausforderung, die Zeit, Kraft und Geschick erfordert, beim Offshore- Einsatz herrschen oft noch anspruchsvollere Bedingungen: Denn zwei Kletterer müssen in der Regel im Innern des Mastes bis hinauf zur Gondel klettern und sich dann gesichert freischwebend zu den Rotorblättern abseilen. Dies funktioniert allerdings nur bis zu Windgeschwindigkeiten von etwa 10 Metern pro Sekunde. Die Alternative wäre der Einsatz von Drohnen. Dies wird bereits in verschiedenen Pilotprojekten mit Hilfe von in der Anlage verbauten Sensoren und der Nutzung Künstlicher Intelligenz erprobt. „Drohnen bieten uns die Möglichkeit bei Wiederholungsinspektionen mit digitalen Aufnahmen Schadensverläufe nachzuverfolgen und so in die Zukunft zu extrapolieren, so dass eine vorausschauende Wartung möglich wird“, ist sich Heiko Buchbach sicher. „Ein weiterer Vorteil ist der geringe Zeitaufwand: Während ein Kletterer sechs bis zwölf Stunden mit der Inspektion der Rotorblätter einer Anlage beschäftigt ist, benötigt die Drohne maximal eine Stunde. Sie kann zudem Offshore auch noch bei Windstärken von 14 Metern pro Sekunde hochwertiges Datenmaterial erzeugen.“ Aber noch ist dieses Szenario Zukunftsmusik. Branchenkenner rechnen jedoch damit, dass Inspektionen und Schadensbeurteilung mit Hilfe von Drohnen und Künstlicher Intelligenz und sogar Reparaturen durch spezielle Roboter in nicht allzu ferner Zukunft möglich sein werden.

    Das Ende der Globalisierung?

    Aktuell bestehen die Herausforderungen längst nicht mehr nur auf der Produkt- und Verfahrensseite. Das Zusammenspiel der Marktteilnehmer und damit die Märkte selbst verändern sich. Die Corona-Pandemie, der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und drohende Handelskriege rütteln die bislang geltende Wirtschaftsordnung durcheinander. Rohstoffe, Produktionsstandorte, Lieferketten, alle Aspekte der Entwicklung und Produktion werden massiv hinterfragt. Bislang weiß niemand, welche Auswirkungen dies langfristig verursachen wird. Es ist zu vermuten, dass Liefersicherheit wieder einen höheren Stellenwert bekommen wird als der günstigste Preis. Und nicht zuletzt wird auch die gleichbleibende verlässliche Qualität der Produkte eine große Rolle spielen. Fest steht jedoch, dass Beschichtungen für die Energieversorgung auch in Zukunft unverzichtbar sind, weil sie für eine lange Lebensdauer der Anlagen sorgen und mit innovativen Reparaturlösungen einen langfristigen Betrieb von Windkraftanlagen sicherstellen. Dies ist für alle Lebens- und Wirtschaftsbereiche essenziell. Denn der Energiehunger – so viel ist gewiss – wird überall auf der Welt weiter rasant steigen.

    Autor: Matthias Beiderbeck

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